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Call for Papers: Solidarität in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung

Wie wirkt das Prinzip und wie verändern sich dessen Wirkungen in einem dynamischen gesellschaftlichen Umfeld?

Schwerpunktheft der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt“

Deadline: 31.10.2022

Gastherausgeber*innen: Klaus Meesters, Dr. Jochen Pimpertz, Prof. Dr. Jürgen Wasem, Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok

Hier finden Sie den Call als PDF mit einschlägigen Informationen.

Das Solidaritätsprinzip ist ein prägendes Gestaltungselement des Sozialstaates. Für die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung (GKV/SPV) wird es explizit in § 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs verankert und in den §§ 2 und 3 konkretisiert. Annähernd 9 von 10 Bürgern sind qua Gesetz in beiden umlagefinanzierten Sozialversicherungszweigen eingebunden, der Solidaritätsgedanke ist in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Abhängig vom Erwerbsstatus und der Einkommenshöhe sind die übrigen Bevölkerungsgruppen in alternativen Sicherungssystemen abgesichert. Erweiterte Leistungsversprechen, der medizinisch-technische Fortschritt und nicht zuletzt der demografische Wandel stellen das Sozialversicherungssystem vor steigende Finanzierungserfordernisse. Wie diesen Anforderungen begegnet werden kann, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. In dieser Gemengelage werden einzelne Reformvorschläge explizit mit einer Stärkung des Solidaritätsprinzips begründet, andere tangieren mittelbar den Charakter der solidarischen Versicherung. Dabei lassen sowohl die Vielfalt der Modelle als auch deren Ausgestaltungsvarianten erahnen, dass der Solidaritätsbegriff unterschiedlich ausgelegt werden kann.

Vor diesem Hintergrund setzt eine wissenschaftlich begründete Empfehlung zur Weiterentwicklung von GKV und SPV eine systematische Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsprinzip voraus. Dazu möchte die Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V. eine interdisziplinäre Diskussion initiieren, was das Solidaritätsprinzip im Status quo konkret bewirkt, wie sich unterschiedliche gesellschaftliche Trends auf die Effekte des Solidaritätsprinzips auswirken, welche Anforderungen sich daraus für mögliche Reformen ergeben und was getan werden kann, um dessen Akzeptanz dauerhaft zu sichern. Die Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsprinzip fußt auf einer langen wissenschaftlichen Tradition unterschiedlicher Disziplinen:

  • Beispielsweise sozialphilosophische und sozialethische, aber auch ordnungsökonomische Beiträge diskutieren inhaltliche Konkretisierungen des Solidaritätsbegriffs. Die begriffliche Bestimmung erfolgt meist in Abwägung zu weiteren Gestaltungsprinzipien wie dem Versicherungs- oder Subsidiaritätsgedanken und erfolgt nicht zuletzt vor dem Hintergrund unterschiedlicher Gerechtigkeitskriterien in der Regel normativ. Zugleich ist das erste Kapitel des SGB V, nicht zuletzt im Zusammenspiel mit dem ersten Abschnitt des SGB I, normativ konkret. Welche Impulse lassen sich aus dem Spannungsfeld verschiedener Denktraditionen und dem gesetzlich ausgestalteten Solidaritätsprinzip in der GKV und SPV entwickeln?

  • Etwa in rechtswissenschaftlichen Beiträgen werden Alternativen zur Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme nach dem Sozialstaatsprinzip bewertet. Dem Gesetzgeber eröffnet dies weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Das Solidaritätsprinzip ist demnach ein Element unter verschiedenen, nach denen soziale Sicherung organisiert werden kann. Welche Ansätze bieten die Rechtswissenschaften, um Hinweise für die Weiterentwicklung des Solidaritätsprinzips unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu gewinnen?

  • Beispielsweise in der ökonomischen, vor allem in der finanzwissenschaftlichen Literatur werden konkrete Reformmodelle für GKV und SPV diskutiert. Die Analysen stellen in der Regel auf die fiskalischen Implikationen ab, während die verteilungspolitischen Wirkungen des Solidaritätsprinzip bislang kaum empirisch erfasst werden. Welche Ansätze bietet die empirische Sozialforschung, um die Effekte des Solidaritätsprinzips in GKV und SPV zu beschreiben? Wie wirken veränderte gesellschaftliche Bedingungen und Reformansätze auf diese Effekte?

  • Mit Blick auf den politischen Diskurs sind beispielsweise konkrete Reformvorschläge und deren Wirkungen auf das Solidaritätsprinzip kritisch zu hinterfragen. Führt zum Beispiel eine bevölkerungsweite Pflichtversicherung zu einer Stärkung des Solidaritätsprinzips in GKV und SPV? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Welchen Einfluss hätte dagegen zum Beispiel ein steigender Finanzierungsanteil aus Steuermitteln auf den solidarischen Ausgleich?

  • Neben weiteren Einflüssen stellt die demografische Entwicklung die umlagefinanzierten Systeme der GKV und SPV vor Finanzierungsprobleme. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive kann deshalb beispielsweise hinterfragt werden, wie sich die Wahrnehmung von Solidarität verändert und was welchen Einfluss auf die Akzeptanz des Solidaritätsprinzips haben könnte. Die Überlegungen verdeutlichen, dass es eines interdisziplinären Diskurses zum Solidaritätsprinzip bedarf, wenn dieses sozialstaatliche Gestaltungselement unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen bewahrt werden soll.

Bitte senden Sie eine Beitragsskizze (max. 500 Wörter) bis zum 31.10.22 an die Redaktion des Sozialen Fortschritts, Sandra Knorr (redaktion@sozialerfortschritt.de). Bei Annahme der Skizze ist der vollständige Beitrag bis zum 12.02.23 einzureichen. Eingehende Manuskripte werden begutachtet (doppelt-blindes Peer Review).

Die Annahme eines Beitrags ist verbunden mit der Erwartung, dass die Autor*innen ihre Ergebnisse auf einer Konferenz der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V. im Frühsommer 2023 vorstellen und mit dem Fachpublikum diskutieren.

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