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FIS-Forum 2021: Vernetzung der Sozialpolitik-Community in Duisburg und digital

„Das nächste Jahrzehnt wird ein sozialpolitisches sein“ – so bewertete BMAS-Abteilungsleiter Nermin Fazlic die Bedeutung der sozialpolitischen Forschung und Praxis in seiner Begrüßung bei dem diesjährigen FIS-Forum, das am 18. und 19.11.2021 in Duisburg bzw. hybrid stattfand. Das zentrale Format für die Vernetzung der Sozialpolitik bundesweit, erstmals ausgerichtet durch das DIFIS, bot an zwei informationsreichen Tagen rund 150 Teilnehmenden Projektvorstellungen, Workshops zur Entwicklung des DIFIS-Forschungsprogramms und informelle Möglichkeiten des Austauschs (vor Ort und über Gathertown) an. Zum Abschluss diskutierten ausgewiesene Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis in einer Podiumsdiskussion über aktuelle und zukünftige sozialpolitische Herausforderungen. Moderiert wurde das gesamte FIS-Forum von Andrea Blome.

Den Auftakt des 1. Tages bildete die Begrüßung durch Nermin Fazlic, Leiter der Abteilung I (Grundsatzfragen), der die Entwicklung des DIFIS aus dem FIS-Netzwerk heraus skizzierte und auf die intensiven Diskussionen rund um Themen wie Grundsicherung, Qualifizierungsförderung usw. einging. Im Anschluss daran berichtete DIFIS-Direktorin Prof. Dr. Ute Klammer über die Aufbauphase des DIFIS in der Pandemie – das Institut nahm im Mai 2021 seine Arbeit auf und das Team ist in zwei Abteilungen über zwei Standorte (Duisburg und Bremen) organisiert, die eng miteinander kooperieren. Corona, das dem dezentral organisierten DIFIS gewissermaßen in die Hände gespielt habe, habe gezeigt, wie wichtig Sozialpolitik ist und auch, dass wir einen intensiveren Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft brauchen. Das DIFIS wolle in Zukunft vor allem die Forschung vernetzen, aber auch Politikberatung leisten.

Den Einstieg in die sozialpolitischen Inhalte boten zwei Impulsvorträge von durch das BMAS im Rahmen des FIS-Netzwerks geförderten Stiftungsprofessorinnen. Prof. Dr. Claudia Maria Hoffmann (Europa-Universität Viadrina) ist in der interdisziplinären Sozialrechtsforschung tätig und forscht vor allem zu sozialer Gerechtigkeit und deren Verwirklichung. Eine zentrale Frage in ihrem Input war die nach der Schaffung von Rechtsnormen zur Erreichung sozialstaatlicher Ziele. Dabei wird eine Spannung zwischen Rechtslage und Rechtswirklichkeit sichtbar – und genau an dieser Schnittstelle setze ihr Forschungsinteresse in der Sozialrechtsforschung an.

Juniorprofessorin Dr. Gabriele Buchholtz (Universität Hamburg) forscht und lehrt zum Recht der sozialen Sicherung mit Schwerpunkt Digitalisierung und Migration. Ein wichtiger Bereich ist dabei Digital Health, also der digitale Wandel im Gesundheitssystem in Deutschland. Forschungen haben Buchholtz zufolge gezeigt, dass digitalisierungsbezogene Gesetzgebungsaktivitäten in Deutschland nicht sehr gut im EU-Vergleich abschneiden. Auch deshalb beschäftigen sich Forschungsprojekte zunehmend mit Datenschutz, beispielsweise mit elektronischen Patientenakten und dem Schutz von Patientendaten, sowie mit Haftung und Verantwortung im medizinischen Bereich. Diese Aspekte seien richtungsweisend für die Zukunft des Gesundheitswesens. Ein weiterer Schwerpunkt von Frau Buchholtz ist die Frage danach, wie das Verwaltungsrecht zur Integration von Zugewanderten beitragen kann. Integration sei vor allem ein soziales Phänomen, bei dem die Steuerungsfähigkeit des Rechts stark begrenzt ist. Aus diesem Grund sei Interdisziplinarität besonders stark gefragt.

Im Anschluss an die Impulsvorträge konnten sich die Teilnehmenden in drei unterschiedlichen Räumen (vor Ort) und Streams (digital) spannende Projektvorstellungen anhören, die thematisch in „Aktivierung und Arbeitsmarktintegration“, „Soziökonomische Analysen und Auswirkungen von Sozialpolitik“ und „Wohlfahrtsstaatliche Normen und Einstellungen“ untergliedert waren. Es folgte ein Infoblock zu Möglichkeiten der Forschungsförderung im Rahmen des BMAS bzw. der GSUB.

Danach fand ein dritter Impulsvortrag statt, diesmal von Stiftungsprofessor Dr. Sebastian Fehrler (Universität Bremen), dessen Schwerpunkte die Zielgruppenerreichung sozialpolitischer Maßnahmen (Targeting) und Sozialpolitik im globalen Süden sind. Fehrler führte dabei Beispiele aus Deutschland und Bangladesch an, die sich auf den Distanzunterricht und die Fördermaßnahmen nach den coronabedingten Schulschließungen sowie auf die Auswahl von Sozialrentenempfänger*innen beziehen. Zwei in Bangladesch zusammen mit der Regierung durchgeführte Interventionen zeigten leider keine Wirkung, obwohl sie zu einer Verbesserung des Kenntnisstandes beitrugen. Fehrler bewertet Mistargeting in diesem Zusammenhang als ein großes Problem bei Interventionsprogrammen der OECD-Länder. Gleichzeitig werde Mistargeting viel zu wenig erforscht. Randomisierte Evaluationsstudien können in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung von Targeting-Maßnahmen leisten.

Im abendlichen Abschlussteil hob Prof. Dr. Frank Nullmeier die hohe Interdisziplinarität in den Vorträgen der Stiftungsprofessor*innen heraus. Insgesamt zeichnen sich viele Zusammenhänge mit Fragen der Organisation von Verwaltung ab, die Forschung scheine auf ein „Verwaltungsproblem“ in Deutschland hinzuweisen. Genau hier setze das DIFIS an. Ein gemeinsamer Nenner vieler Projekte waren Einstellungen gegenüber sozialpolitischen Maßnahmen und Bewertungen durch Bürgerinnen und Bürger. Welche Konsequenzen muss Politik ziehen? Digitalisierung stärkt Teilhabe – oder doch nicht? Die Aufgabe der Forschung sei in diesem Zusammenhang auch, den Aufbruch der öffentlichen Verwaltung mit zu befördern.

Im Fokus des zweiten Tages stand die Entwicklung des DIFIS-Forschungsprogramms, das aktuell entlang von sechs Feldern etabliert werden und ab Frühjahr 2023 umgesetzt werden soll. Im Rahmen von Workshops präsentierten DIFIS-Gründungsmitglieder und weitere Beteiligte aus den verschiedenen Feldern erste Ideen und erhielten Input von der Community zur weiteren Konturierung der Forschungsfelder. Die Ergebnisse der einzelnen Workshops wurden anschließend im Plenum präsentiert. Als Raum für kollegialen Austausch und Interessensbekundungen für die unterschiedlichen DIFIS-Formate diente die jährliche Kollegiumsversammlung, die erstmals im Rahmen des FIS-Forums durchgeführt wurde. Parallel dazu fand das Europa-Lokal statt, bei dem sich Forscher*innen und Praxisvertreter*innen über Fragen lokaler Integrations- Sozial und Ordnungspolitik für mobile Bevölkerungsteile (Migrierte, Fachkräfte, Geflohene) innerhalb Europas austauschten.

Den Abschluss und ein besonderes Highlight des 2. Tages bildete die Podiumsdiskussion mit ausgewiesenen Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis/Verwaltung. Dr. Andreas Aust (Referent Sozialpolitik, Paritätischer Verband) machte auf Probleme und politische Maßnahmen in den Feldern sozialer Ungleichheit und Armut aufmerksam und äußerte die Befürchtung, dass das Soziale bei der sozial-ökologischen Transformation auf der Strecke bleiben könnte. Die letzten 10 Jahre zeichneten sich durch ökonomisches Wachstum, jedoch auch einen Anstieg der Armut aus. Eine mögliche Lösung aus Sicht der Wohlfahrtsverbände sei die politische Regulierung der Preise für elementare Leistungen (Strom, Wärme usw.), sowie die Organisation des Felds der Sozialen Arbeit hin zu gemeinnützigen statt gewinnorientierter Akteure.

Aus der Perspektive der Gewerkschaften beobachtete Anja Piel (stellvertretende Vorsitzende des DGB), dass die Pandemie Ungleichheiten und Gerechtigkeitslücken (wie beispielsweise die mangelnde Tarifbindung in der Pflege) aufgezeigt habe und die Strukturen der sozialstaatlichen Leistung aus diesem Grund gestärkt werden müssen. Ein Anliegen der Gewerkschaften sei es in diesem Zusammenhang, den Menschen Sicherheit zu bieten, um Entwicklungsprozesse mitzugehen – eine gut ausgestattete Agentur für Arbeit sei dafür z.B. notwendig, die Gesundheitsversorgung müsse aber auch verbessert werden. Über die Treiber des Wandels sprach auch Dr. Hans-Peter Klös (Leiter Wissenschaft des Instituts der Deutschen Wirtschaft) – es sei ein Wandel in der Ausrichtung von Sozialpolitik notwendig. So müsste der Lebensverlauf insgesamt stärker in den Fokus rücken und die einzelnen Bereiche der Sozialpolitik besser miteinander vernetzt und aufeinander bezogen werden.

Prof. Dr. Constanze Janda (Universität Speyer) richtete ihr Augenmerk auf die Migration: Aktuell sei die Zielsetzung eher auf finanziellen Nutzen für Deutschland (z.B.: Gewinnung von Arbeitskräften) als auf die Unterstützung der Zuwandernden ausgerichtet. Dafür spreche die prekäre psychotherapeutische Behandlung von Asylsuchenden. Janda zufolge sollte das System alle Menschen erreichen, die Bedürfnisse haben – Digitalisierung helfe z.B. nur bedingt, wenn Menschen nicht erreicht werden. Die Forschung und Praxis sollten sich die Gesamtsituation von Familien genauer anschauen, auch die Träger sollten sich mehr vernetzen statt nur in die eigenen Bereiche zu schauen.

Prof. Dr. Wolfgang Schroeder (Universität Kassel) merkte in diesem Zusammenhang an, dass Institutionen auf den aktiven Bürger angewiesen seien, der seine Rechte kenne und vertreten könne. Eine inklusive Perspektive müsse dies in den Blick nehmen und bedenken, dass solche Bedingungen nicht bei allen Bürgerinnen und Bürgern gegeben seien. So setze beispielsweise die Reform des Hartz IV-Gesetzes vermehrt auf Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit, was ein Schritt in die richtige Richtung sei. Um dieses Ziel zu erreichen sei jedoch eine engere Kooperation der Verwaltung und mit weiteren Disziplinen nötig. Bildungsarbeit und duale Ausbildung – dazu gehöre eine berufliche Grundorientierung bereits in den Schulen statt späterer Umschulungen. Das Zusammenspiel zwischen Sozialstaat und individueller Entwicklung müsse enger werden, um eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten.

Es waren zwei informative, anregende und intensive Tage in Duisburg und digital – herzlichen Dank an alle Beteiligte!  Wir freuen uns, weiterhin über unterschiedliche Formate und Kanäle mit Ihnen verbunden zu bleiben und in verschiedenen Formaten an den gemeinsamen Zielsetzungen zu arbeiten!

 

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